Bitte um Spenden
Die Initiativgruppe "Christliche Eltern" bittet Sie mit einer Kuchen- oder Geldspende, die Not der Opfer häuslicher Gewalt in St. Petersburg zu lindern. Kuchenspenden können am Samstagmorgen, 9. Dezember 2017 ab 8:00 Uhr im Rathaus abgegeben werden. Geldspenden können Sie auf das Konto des Malteser-Hilfsdienstes in Würzburg überweisen.
Empfänger:
Malteser Hilfsdienst e.V.,
Diözese Würzburg
IBAN: DE27 3706 0120 1201 2220 16
BIC: GENODED1PA7
Bank: Pax Bank eG
Verwendungszweck: Spende St. Petersburg - Notunterkunft für stadtfremde Familien mit Kindern
Für Spendenquittungen bitte den Beleg unter Angabe Ihrer Adresse an folgende Adresse senden:
Malteser Hilfsdienst e.V. Würzburg
Mainaustraße 45
97082 Würzburg
Bitte die vollständige Adresse auch auf dem Überweisungsträger eintragen.
MALTESER HILFSDIENST
Sankt-Petersburg
St. Petersburg, d. 22.10.2017
Liebe Freunde in Wittichenau.
Die wunderbare Weihnachtszeit nähert sich und selbst die Ärmsten hegen mit dieser Zeit ihre Hoffnungen auf eine wunderbare Wende zum Guten. Ich zumindest kenne viele solche Familien und Menschen in St. Petersburg, von denen ich Ihnen erzählen will.
Vor ca. einem Jahr fing es an, dass sich eine Mutter mit 3 Kindern an uns wendete, die in unserer Stadt wohnungslos wurde. Der Grund war ihr gewalttätiger Mann, dessen Eifersucht ihn zum brutalen Vorgehen gegen seine Frau und Kinder trieb. Wir beherbergten die Mutter mit ihren Kindern in einem preiswerten Hostel für einen Monat, begleiteten sie und halfen materiell. Kurz darauf tauchte eine Mutter mit der Tochter auf, die einen juristischen Streit gegen Verwandte des verstorbenen Mannes um die Erbschaft führte und ebenso wohnungslos war. Das Neue für uns war, dass diese Frau stadtfremd, aus einer sibirischen Kleinstadt angereist war, die keinen in St. Petersburg kannte und sich von niemandem Hilfe erwarten konnte.
So entstand die Initiative, den vorwiegend stadtfremden Frauen mit Kindern mit unseren Hilfen eine überschaubare Zeit umfassend beizustehen, bis ihre Situation sich stabilisiert. In den Fokus nahmen wir das Wohl des Kindes: die Beseitigung der akuten Lebens- und Gesundheitsgefahr für das Kind und das Erhalten der kleinen Familie (Mutter und Kind).
Als wir die neue Initiative planten, wussten wir natürlich nicht, wieviele solche Fälle uns in diesem Jahr begegnen werden. So haben wir vorsichtshalber kein extra Personal dafür eingestellt, sondern mir, der Malteser-Geschäftsführerin als Zusatzaufgabe angehängt. Heute, nachdem fast 10 Monate des Jahres um sind, kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen, dass dieser Hilfsdienst arg nötig ist und unbedingt fortgesetzt und ausgebaut werden soll. Wie gefragt solche Hilfe war, bezeugen die Zahlen: in diesem Jahr sind über meine Hände 18 Familien mit insgesamt 30 Kindern „durchgegangen“, einige von ihnen betreue ich immer noch auf unterschiedliche Weise.
Hier zwei aktuelle Beispiele:
E., 43 mit dem Sohn Nikita, 9. E. stammt aus einem Kleindorf in der Leningrader Region, 230 km Richtung Osten. Das Dorf ist ein verlassener Ort, wie viele Provinzdörfer Russlands. Die junge Generation hat ihn längst verlassen und nur die älteren Menschen von ihren leben von Kleingärten, Viehzucht und Waldernte. E. ist verheiratet, aber ihr Mann, einst Steinmetz von höchster Qualifikation, ist längst dem Alkoholsuff verfallen. Auch sein Vater ist schon mit 43 Jahren dem Alkoholmissbrauch unterlegen. Auch E.’s Eltern sind Alkoholiker, die ihre gemeinsame Wohnung zur Bruchbude, mit von Ratten durchfressenen Böden, haben verkommen lassen. E. ist alles andere als gesund. Sie hat Blasenkrebs hinter sich und trägt ständig Windeln. Mit dem Mann wohnte E. in St. Petersburg, in einem gemieteten Zimmer, das er aus Gelegenheitsjobs während der Hellperioden bezahlte. Das endete jetzt abrupt Anfang Oktober, als die Familie wegen Verschuldung auf die Straße gesetzt wurde. Der Zustand des Mannes war so schlimm, dass er sofort von der Notarztbrigade abgeholt wurde; E. stand mit dem Sohn allein da, rief bei uns an. Bis heute wohnt sie in einem Hostel in der Nähe der Schule, wo Nikita lernt und wir unterstützen sie auf vielseitige Weise, damit sie die besagte Registrierung in St. Petersburg erlangt. Falls diese Registrierung nicht zustande kommt, muss sie leider in die verhasste Heimat, diese leere und hoffnungslose Gegend zurück – sehr traurig für das Kind!!!
O., 52 Jahre mit der Tochter Elina, 11. O. wuchs in Kalmykien, einer Volksrepublik innerhalb Russlands auf, großgezogen durch ihre Oma. Gleich nach der Schule begab sie sich nach St. Petersburg, wo sie schnell Arbeit fand. Für das bescheidene Leben in einem gemieteten Zimmer hat ihr Geld gereicht. Trotzdem fand sie über die Jahre kein Familienglück: 2006 kam Elina ohne Vater zur Welt. Die neugeborene Tochter wurde unter der Adresse des alten Holzhauses ihrer Oma registriert, und dieser Besuch im Heimatort vor 7 Jahren war der letzte. Die Familie lebte weiter in St. Petersburg, O. war die Alleinverdienerin. Um die Schule mit der Arbeit zu vereinbaren, meldete O. die Tochter für Schulunterricht zu Hause, was Familien in Ausnahmefällen gewährt wird. Der Grund war auch Elinas Erkrankung, da ein Bein bei ihr plötzlich nicht mehr wuchs. Im Moment ist ein Bein 5 cm kürzer als das andere. Im Sommer 2017 ging O. auf Rat einer Bekannten in die Heimat, um für Elina die Behinderungsstufe zu beantragen und die teureren Orthopädie-Schuhe nicht mehr selber bezahlen zu müssen. Das Einwohnermeldeamt teilte ihr mit, dass ihre Tante 2012 das Haus verkaufte und beide abmeldete. Welch ein Schreck: beide obdachlos! Die langen Behördengänge brachten nichts: zu spät gemeldet. Allein der Pfarrer der orthodoxen Kathedrale erbarmte sich und ließ sie unter der Gemeinde-Adresse registrieren. Mit kleinen Ersparnissen kehrten sie zurück, wo inzwischen das kleine Zimmer neu vermietet war (ich vermute, O. hat den Monat, als sie mit der Tochter in die Heimat ging, nicht vorausbezahlt). Solange das Geld reichte, lebte O. mit ihrer Tochter in einem Hostel, suchte ein geeignetes Zimmer. Als nichts vom Vorrat mehr übrig war, meldete sie sich bei uns – mittellos, ausgehungert, am Ende ihrer seelischen Kraft. Bis die Familie ein neues Zuhause fand, günstig und unweit der Schule, versorgte man sie mit allem Nötigen. Im Moment, solange O. auf Job-Suche ist, unterstützen wir die kleine Familie weiter.
Eine Gemeinsamkeit vieler dieser Frauen ist, dass sie aus verschiedenen Ecken Russlands irgendwann jung und kinderlos gekommen sind, um in St. Petersburg einen Beruf zu erlernen oder bessere Jobchancen zu bekommen. Ja, eigentlich ist es ganz normal. Viele Frauen aus der Provinz starten ihr erfolgreiches Berufs- und Familienleben genauso. Aber diesen Frauen hat das Glück den Rücken gezeigt. Zerrüttete Ehen bzw. Partnerschaften brachten einige in finanzielle Not – alleinstehend, ohne festen Wohnsitz in einer billig gemieteten, engen Bleibe (meistens einem kleinem Zimmer in einer Kommunalwohnung) und meistens ohne ordentlich bezahlte Stelle, weil gute Stellen mit Kleinkind kaum zu bekommen sind. Und sie haben noch etwas gemeinsam: ihnen fehlt die Daueranmeldung (Registrierung) in St. Petersburg! Durch den Migrationszufluss der letzten Jahre haben sich die Regeln für die Registrierung drastisch verschärft und verteuert – selbst wenn ein Petersburger jemanden in seiner Wohnung vorübergehend anmelden wollte, wenn auch offiziell unter dem Begriff „provisorische Anmeldung ohne Wohnrecht“, ist das bürokratisch kompliziert und nur mit offizieller schriftlicher Zustimmung aller in der Wohnung angemeldeten Personen möglich. So wohnten diese Frauen in St. Petersburg de jure illegal, ohne Recht auf jegliche staatliche Zuschüsse und Hilfen. Für die Vermittlung ihrer Kinder in die Schule nahmen sie manchmal das Angebot illegaler Agenturen in Anspruch, die den Arbeitsmigranten die Anmeldungen teuer verkaufen, was mal gut, mal schlecht, mit Geldverlust ausging.
Immer größer wird die Gruppe der Frauen, die ihre suchtkranken Männer bzw. Partner aus Angst um ihr eigenes Leben und das ihres Kindes verlassen. Von 17 Frauen waren 7 von diesem Unheil betroffen und davon viele mit Migrationshintergrund, also ohne Angehörige hier. Ein paar Beispiele:
T., 30 Jahre, geboren und gelebt in Sewastopol, auf der Krim-Insel. T. ist zweifache Witwe, denn die beiden Männer (ein Ukrainer und ein Russe) waren alkoholkrank. 2014 lernte sie auf der Krim einen Petersburger kennen, der sie 2016 heiratete und mit beiden Töchtern (heute 12 und 9) hierher brachte. Zu spät erfuhr T. von seiner Alkoholsucht. Der Mann verdiente unregelmäßig durch Gelegenheitsjobs. Man lebte in ständiger Geldnot. Es hat lange gedauert bis T. und die Mädchen die russische Staatsangehörigkeit erlangten. Aber dann schlug T. sofort vor, sie mache einen 7-monatigen Kurs zur Straßenbahnfahrerin, wonach eine Arbeitsstelle garantiert war. Der Mann stimmte zu. Allmählich hörte er auf, die Frau finanziell zu unterstützen – T. und ihre Mädchen ernährten sich aus ihrem Stipendium von 100 € im Monat. Während T. im Kurs lernte, hat ihr Mann immer öfter zum Alkohol gegriffen, wurde gegenüber den Mädchen aggressiv. Die Kleine hatte Angst vor ihm, aber die Ältere zeigte viel Mut und hat ihm offen widersprochen. Je näher der Tag kam, an dem T. ihre Prüfungen ablegen musste, packte den Mann eine böse Eifersucht auf seine zielstrebige Frau. Am Tag ihrer praktischen Prüfung hat er sie am Morgen alle drei aus der Wohnung rausgeschmissen – ohne Geld, ohne Lebensmittel, ohne Kleider. Um die Rückgabe der Kleider, Schuhe und Spielzeug der Mädchen musste T. wochenlang betteln – diese hat er aus Spott vom Balkon runtergeworfen. Auf unsere Kosten hat T. 37 Tage in einem Hostel gewohnt, von wo sie ihre Lehre erfolgreich abschließen konnte. Nachdem das Krisenzentrum „Licht der Hoffnung“ Platz für alle drei hatte, quartierten wir die Familie dorthin um. Denn das Zentrum lag viel näher an der Schule, an der die beiden Mädchen lernen und befindet sich auch näher an T.s neuer Arbeitsstelle. T. hat gleich nach ihrem Abschluss eine Arbeit angenommen und nachdem sie ihr erstes Gehalt bekommen hatte, schloss sie sich mit einer anderen Mutter zusammen, um gemeinsam eine kleine Wohnung zu mieten.
Kurz vor Feierabend an einem Juni-Freitag meldete sich die aufgeregte Sozialarbeiterin eines staatlichen Familienzentrums und bat dringend um Unterkunft-Vermittlung für eine Mutter mit 1-jähriger Tochter Ajana: G., 41 wurde früher schon von ihrem Lebenspartner geschlagen. Aber diesmal verprügelte er sie so brutal, dass sie mit Kopfverletzung und vielen Blutergüssen am Körper, um ihr Leben zitternd, ganz früh morgens aus der Wohnung floh. Tagsüber versuchte das Familienzentrum, dem der Mann wegen seiner Gewalttätigkeit bereits bekannt war, zu ihm Kontakt herzustellen. Aber er drohte G. mit Mord falls sie zurückkäme. Als G. von der Sozialarbeiterin ins Hostel gebracht wurde, war sie fast bewusstlos – man rief die Notarztbrigade und fuhr in die Notaufnahme. Ich musste die kleine Ajana beaufsichtigen, solange die Untersuchungen liefen und der Kopf geröntgt wurde – zum Glück hatte G. nur eine schwache Gehirnerschütterung, keine Knochenbrüche. Einen Monat lang wohnte G. mit Ajana auf unsere Kosten im Hostel. Diesen Monat konnte sie das Kindergeld sparen und manche Nachtschicht als Kassiererin im 24-Stunden-Lebensmittelladen schieben, solange ihre Schwester beim Kind war. G. stammt aus Usbekistan, wo ihre Tochter aus der 1. Ehe mit ihrer Familie wohnt. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann, der auch chronische Alkoholprobleme vorausgegangen waren, zog sie nach St. Petersburg um und erlangte die russische Staatsbürgerschaft. Später ließ sie ihre jüngere Schwester mit der Familie kommen, wie es in großen usbekischen Sippen üblich ist. Nach diesem Monat haben beide Schwestern gemeinsam eine kleine Wohnung gemietet. Ich kann nur hoffen, dass G. ihrem streitsüchtigen Lebenspartner nicht vergibt und nie zu ihm zurückkehrt.
An einem September-Tag kam der Bittbrief eines staatlichen Familienzentrums: die 5-fache Mutter O., 37 J. mit Kindern im Alter von 15, 5, 4, 2 und 1 Jahr musste vor ihrem gewalttätigen Mann fliehen. Zum wiederholten Mal hatte ihr Mann gegen sie und die Kinder Gewalt angewendet. Aber aus Angst um ihre Zukunft hat O. niemandem davon erzählt. Auch immer neue Schwangerschaften traten nicht unbedingt freiwillig ein. Schließlich konnte O. es nicht mehr aushalten. Sie brach ihr Schweigen und wendete sich bei einer staatlichen Stelle, die alle Mechanismen in Gang setzte: man beauftragte Alimente von ihrem ersten Mann für ihre ältere Tochter (aus 1. Ehe). Man setzte sie auf die Liste für eine vorübergehende Wohnung, welche leider nicht so schnell zu bekommen war. Deswegen wohnte O. mit ihren Kindern erstmal 2 Wochen auf unsere Kosten in einem Hostel.
Noch eine Gruppe bilden Frauen oder Paare mit Kindern, die seit Kurzem in St. Petersburg arbeiten und durch plötzlich auftretende Ursachen wohnungslos und bald darauf mittellos werden. In der Regel existiert die Bindung zur alten Heimat nicht mehr, sodass es kein Zurück gibt und die Lösung unbedingt hier vor Ort gefunden werden soll. Einige Beispiele dazu:
O., 28 und ihr Mann kamen 2012 mit der Tochter (heute 6) aus der Ukraine nach St. Petersburg, wo sich der Mann als Bauarbeiter bessere Verdienstmöglichkeiten erhoffte. 2012 kam der gemeinsame Sohn (heute 5) zur Welt. Als Arbeitsmigrant wurde er ständig betrogen und unterbezahlt. Die Familienkrise ging soweit, dass sie sich trennten. O. ließ ihre Mutter zu den Kindern kommen und ging als Kassiererin arbeiten. Auch O. wurde vom Arbeitgeber betrogen: als Ukrainerin befristete man heimlich ihre Stelle, weil jemand anderes diese haben wollte. Als alleinerziehende Mutter zweier Kleinkinder war sie laut Arbeitsvertrag unkündbar. So ging sie gegen ihre Arbeitgeberin gerichtlich vor. Dann hat diese sie runtergesetzt und miserabel bezahlt, so dass O. sich vor Kurzem einen neuen Job suchen musste. Sie und ihre Mutter fanden eine gute Lösung, indem sie sich als Kassiererinnen in Tag- und Nachtschicht abwechselten. So konnte eine immer bei den Kindern bleiben. Die zwei Löhne ermöglichten es, eine kleine Wohnung zu mieten, der Mietvertrag wurde für 1 Jahr abgeschlossen mit der Möglichkeit zur Verlängerung. Als O. das schriftlich festlegen wollte, hieß es, es reicht auch eine mündliche Vereinbarung. Die Miete wurde einen Monat im Voraus an die Eigentümerin überwiesen. Ende Juli stand eine Frau vor der Haustür, die sich als neue Wohnungsinhaberin vorstellte und O.s Familie bat, die Wohnung sofort freizuziehen. Rechtlich gesehen, hatte O. nichts vorzulegen, um ihr Wohnrecht zu beweisen: der Vertrag war längst abgelaufen. Da August bereits bezahlt war, versuchte O. die alte Besitzerin zu erreichen, aber ihr Handy war ausgeschaltet. Mit unserer Hilfe konnten O., ihre Mutter und die beiden Kinder 24 Tage in einem Hostel wohnen, bis die tüchtige O. eine neue preiswerte Mietwohnung fand.
V., 37, geboren in Kaliningrad, lebte mit ihrer Tochter Eva, 14 in einem Dorf im Süden Russlands. Wie sie erzählte, hatte sie als „Fremde“ dort trotz guter Ausbildung (Deutsch-Lehrerin) nie einen guten Job gehabt, arbeitete als Nachschul-Betreuerin mit kleinem Entgelt. In der Hoffnung auf ein besseres Leben folgte sie der Einladung eines Internet-Bekannten, der ihr einen guten Job in St. Peterburg versprach. Anfänglich erschien das Angebot nicht schlecht: man bezahlte ihr sogar die Fahrkarte nach St. Petersburg, aber dann geriet die kleine Familie in die Hände gut organisierter und verdeckter Sklaverei – wir wissen davon bereits seit Jahren von unseren Obdachlosen, dass sich unter dem Deckmantel offiziell registrierter Rehabilitationszentren für Ex-Drogensüchtige, Gauner stecken, die Menschen ausbeuten. V. wurde sofort der Pass als auch ihr Handy weggenommen (mit der Begründung, man besorge ihr eine Registrierung – gelogen!) und ihr wurden ihre Pflichten erklärt: 2 x mal am Tag kochen und putzen in einer Riesenwohnung für 10-12 „Rehabilitanten“ – Männer, die am Tag auf dem Bau hart arbeiten mussten. Obwohl die Wohnung in der Stadt Puschkin lag (wo sich der berühmte Katharinenpalast mit dem Bernsteinzimmer befindet), durfte sie im Laufe von 3,5 Monaten die Wohnung nie verlassen! Man versorgte sie und die Tochter mit Essen, mit nötigen Kosmetik- und Hygienewaren und erklärte, die Registrierung verschiebt sich, wird aber folgen. Als V. kapierte, dass Zeit war zu handeln, damit ihre Tochter den Schulbeginn nicht verpasste, machte sie sich schlau, klaute ihren Pass und ihr Handy aus dem Tresor und floh. Als sie mich ohne eine Kopeke Geld anrief, musste sie mir die Adresse sagen, an der sie stand – dorthin habe ich ihr ein Taxi bestellt. Nach ein paar Tagen im Hostel haben wir ihr und der Tochter die Fahrkarte nach Hause gekauft – der neue Lebensversuch in St. Petersburg scheiterte.
Und ganz zum Schluss kommen Fälle, wo wir mit geistigen Behinderungen bei den Müttern konfrontiert wurden. Bis heute waren es 4 solche Familien. Aber die sind wohl die schwierigsten und aufwendigsten gewesen, in die wir enorm viel Kraft, Zeit, Geld und sonstige Ressourcen investieren mussten. Diese 4 alleinerziehenden Mütter mit jeweils einem Kind waren alle keine Petersburgerinnen, die aber mit Recht behaupteten, dass sie hier für sich und ihre Kinder mehr erreichen. Das größte Problem einer stadtfremden Frau ist, dass kein staatliches Zentrum ihr nicht mal in kleinster Weise helfen darf. In ihrer Situation kommt noch dazu, dass auch andere Hilfsorganisationen sich zurückziehen, wenn ihnen das eigenartige Verhalten der Mutter zu lästig wird. Dennoch wurde keine dieser Frauen das Sorgerecht entzogen und keine von ihnen wollte ihr Kind weggeben – im Gegenteil, sie wussten, dass sie mit dem Kind mehr Mitleid erregen. Daher hielten sie sich fest an das Kind.
Hier ein paar Beispiele:
R., 48 wuchs in St. Petersburg auf. Nach dem Tod ihrer Eltern konnte sie die Wohnung behalten, wo auch ihr Mann und der Sohn, heute 28 Jahre, registriert waren. Der Mann ging wegen eines Deliktes für längere Zeit ins Gefängnis. Als er entlassen wurde, kehrte er zurück, schmiss beide aus der Wohnung, meldete sie von dort ab und drohte mit Mord, wenn R. sich blicken ließe. Ja, R. wirkte wie eine äußerst phlegmatische Person, die alles gelassen hinnimmt. Sie fand einen Job im Vorort an der Pforte einer Datscha-Siedlung mit Wohnmöglichkeit in einer Holzhütte. Ihr Sohn trennte sich von ihr. Aus der Beziehung zu einem usbekischen Arbeitsmigranten bekam sie vor 9 Jahren den Sohn Ruslan, der immer bei ihr war, ohne je einen Kindergarten oder eine Schule besucht zu haben. Erst als die Leitung der Siedlungsverwaltung wechselte, hat man sie vom Dienst entlassen. Beim Streunen mit dem Kind fiel sie der Polizei auf. Man hat ihr das Kind weggenommen und sie in die Psychiatrie gesteckt, weil sein Benehmen weit vom Normalen abwich. Zu mir gelang R. durch Vermittlung einer Dame aus dem Jugendamt, die sich ernsthaft um die Zukunft dieser Mutter bemühte. Einen Monat wohnten R. und ihr Sohn im Hostel, wir versorgten sie mit Lebensmitteln und Fahrgeld, damit sie alle nötige Anträge stellen konnte, um etwas Zukunftssicheres für sich und das Kind zu erreichen. Inzwischen war Ruslan in einen Kinderhort aufgenommen worden, von wo man ihn wegen seines auffälligen desadaptierten Verhaltens schnell wieder in die Kinderpsychiatrie steckte. R. erlangte mit unserer Hilfe den Status einer Obdachlosen und fand Platz in einem staatlichen Obdachlosenasyl. Wenn sie es schafft, einen Job zu finden, kann sie vielleicht später ein Zimmer mieten und Ruslan zu sich zurückzuholen.
J., 36, gebürtig aus der Stadt Velikij Ustjug (1100 km östlich von St. Petersburg), wo der Legende nach der russische „Väterchen Frost“ beheimatet ist, hat zwei Berufe erlernt: Arzthelferin und Buchführerin. Sie hat früher gearbeitet, aber wegen ihres skandalösen, arroganten und streitsüchtigen Charakters fand sie am Heimatort keine Stelle. Später erzählte mir ihre Schwester, J. kennt die ganze Kleinstadt und niemand will sie haben. Nach St. Petersburg kam sie Mitte Juni zum Fußball-Konföderationspokal, um hier in einem Hostel als Putzfrau zu arbeiten. Vorher hat sie sich über das Internet beworben und eine Zusage bekommen. Ihr wurde auch eine Übernachtungsmöglichkeit zugesagt. Als J. 2 Tage später entlassen wurde, meldete sie sich bei mir – mit enorm viel Gepäck, völlig mittellos und nur mit der Faxkopie der Geburtsurkunde ihrer Tochter Daria, 9 Jahre (Original angeblich verloren). Mit allen Kräften weigerte sich J., zurückzugehen, was ohnehin ohne gültiges Dokument des Kindes offiziell nicht möglich war (gekommen war sie als Anhalterin). Über die Polizei nahm ich Kontakt zu ihrer Mutter und Schwester auf und erfuhr von ihrem psychischen Problem, was ihr aber medizinisch nicht zuerkannt war. Ich benachrichtigte auch das Jugendamt, sowohl in St. Petersburg als auch in Welikij Ustjug. Wir beantragten und bezahlten das erneute Ausstellen der Geburtsurkunde für Daria, die beiden wurden einige Tage in unserer Malteser-Armenküche versorgt. Da sie einen plausiblen Grund suchte, länger hier zu bleiben, wünschte sie die Tochter einem guten Neurologen wegen eines vermeintlichen Gehirntumors vorzustellen. Wir vermittelten J. zur Hilfsorganisation „Ad Vita“, die sich um behinderte Kinder kümmert. Die befürchtete Diagnose bestätigte sich zum Glück nicht. Nach einer Woche Aufenthalt im Hostel war uns die Sinnlosigkeit des weiteren Verbleibs offensichtlich und wir boten J. eine Alternative im Familienzentrum in Gatchina, 50 km westlich von St. Petersburg und brachten sie hin. Als sie die Dorflandschaft dieser Gegend sah, brüllte sie uns an und verlangte, sie zurück nach St. Petersburg zu bringen. Dort ließen wir sie mit sämtlichen Gepäck aussteigen. Später hörten wir von vielen Hilfsorganisationen, dass sie nach und nach bei allen anklopfte. Noch im August meldete sie sich bei mir mit verschiedenen Fragen an und im September haben wir erfahren, dass ihre Mutter sie landesweit als „vermisst“ gemeldet hatte. Scheinbar ist sie zum Beginn des neuen Schuljahrs mit der Tochter nicht zu Hause erschienen. Schade um die kleine Daria, aber solange J. das Sorgerecht nicht entzogen war, konnte ihr das Kind keiner nehmen, nicht mal ihre eigene Mutter (Oma des Kindes).
Liebe Freunde in Wittichenau.
Ausführlich beschrieb ich Ihnen die prekären Lebenssituationen der Mütter mit Kindern, die durch uns in diesem Jahr Hilfe erfahren haben. Sie können sich die Verzweiflung einer Mutter vorstellen, die mitten in der Nacht fast im Hausmantel und mit Kind im Arm von ihrem gewalttätigen Mann auf die Straße flüchtet… Man kann auch den Beweggrund der Mütter verstehen, aus wirtschaftlich depressiven Regionen unseres Landes nach Petersburg zu kommen und ihren Mut bewundern, denn sie wollen eigentlich nur eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder. Sie sehen, was das für komplizierte Fälle gewesen sind, für die es auch keine einfache Lösung gibt. Aber das erste, notwendigste und menschlichste, was man in ihren Notlagen sichern sollte, ist die Unterkunft: Wärme, Trockenheit, Sicherheit… Die Unterkunft, die auch die Eltern Unseres Heilands vor mehr als 2000 Jahren gesucht und nur im Stall gefunden haben. Heute hat die Stadt St. Petersburg mit ihren 5,5 Mio. Einwohnern keinen Stall zu bieten, und auch leider nichts für notleidende stadtfremde Frauen mit Kindern, was umsonst wäre. Selbst eine Petersburgerin, die mit ihren Kindern wegen Bedrohung durch ihren Mann obdachlos wird, kann bestenfalls nach 14 Tagen mit einem Platz im staatlichen Familienzentrum rechnen. Darum müssen wir oft diese Zwischenzeit absichern. Allein bis dato haben wir für die Notunterkunft der 18 Familien ca. 5.600 € bezahlt, die uns im nächsten Jahr fehlen.
Nach einem Jahr Erfahrung muss ich mit Freude feststellen, dass unsere Gesellschaft barmherziger geworden ist: selbst Beamten aus Jugendamtsstellen zeigten sich aufrichtig besorgt um die stadtfremden Familien in Not, standen ihnen oft über ihre Dienstpflichten hinaus zur Seite, leider nur mit Beratung. Für effektive Hilfe mit dem Not-Wendigstem, wie Lebensmitteln, Kleidern/Schuhen, Fahrgeld, die Bezahlung von Gebühren für das Ausstellen der Papiere und letztlich, für eine provisorische Unterkunft gibt es bei städtischen Stellen kein Geld, nicht mal eine Befugnis, sich mit diesen Fällen zu beschäftigen – allein weil sie stadtfremd sind. Aber gibt es eigentlich „fremde“ Kinder in unserer Welt? Wir sagen: „nein!“ und setzten unsere Kräfte dafür ein, dass auch unsere Stadt fremdenfreundlicher und menschlicher wird.
Und wir bitten Sie herzlich: helfen Sie uns dabei!
Mit ganz lieben Grüssen,
Tymkova Irina
Malteser St. Petersburg